Samstag, 24. September 2016

Die Reise nach Belnend



Ich schlage meine Augen auf und schrecke hoch. Wie spät ist es? Bin ich tatsächlich eingeschlafen? Die Sonne knallt bereits in das kleine, staubige Fenster meines Gästezimmers. Ich erhebe mich und packe meine Taschen. Eigentlich wollte ich mich klammheimlich in der Früh auf den Weg machen. Die Aktion der gestrigen Nacht sitzt wie ein Kloß in meinem Hals, ich trau mich weder zu laut zu atmen, noch durch irgendwas die Aufmerksamkeit der Bewohner auf mich zu ziehen. Also schleiche ich mich durch die Tür aus der Herberge und schaue mich um. Die Straßen sind ruhig, nur hin und wieder ist jemand zu sehen. Versuchend so normal wie möglich zu wirken, mit einem ruhigen, entspannten Gesichtsausdruck und gesenktem Blick, schlendere ich gemächlich über die gepflasterten Straßen zum großen Tor. Plötzlich ruft jemand durch die ganze Stadt: „He, Emilio! Warte!“ Ich bleibe ruckartig stehen und hebe den Kopf. Mein Blick wird panisch. Haben sie den leeren Käfig schon entdeckt? Bestimmt.

Nur langsam drehe ich mich herum. Ich versuche ruhig zu atmen, aber der Scheiß glänzt bereits in meiner Stirn. Meine Hände balle ich zu Fäusten, um den zittrigen Eindruck zu verbergen. „Na, so etwas hätte ich niemals von einem Pilger erwartet!“ Eine weibliche Gestalt steht vor mir, die Wirtin persönlich, und sie sieht nicht gerade fröhlich aus. Ich schlucke schwer. „Du weißt… ich muss sagen… dass ich… ich meine, was ich sagen will, ist…“, stammle ich vor mich her und versuche an der Mimik der Wirtin auszumachen, wie schwer es um meine Schuld steht. Sie scheint meine Panik zu bemerken – kein Wunder, es ist vermutlich durch die ganze Straße zu riechen, dass etwas mit mir nicht stimmt. Diese neigt den Kopf, mustert mich nochmal kurz und lächelt auf einmal. „Naja, so schlimm ist es ja auch nicht. Passiert jedem Mal. Du bist nicht der Erste, der vergisst seine Zeche zu zahlen.“ Erleichtert atme ich aus, ein unsicheres Lächeln umspielt meine Lippen. Natürlich habe noch genug Erspartes dabei, um sie zu bezahlen und ich bin sogar so froh, dass es nicht um eine weitaus schlimmere Tat geht, dass ich ihr ein großzügiges Trinkgeld gebe. Jetzt wünscht sie mir natürlich das Beste von den Priesterkönigen und dass sie sich freut, wenn ich bald wiederkommen würde. Natürlich, so großzügig wie ich bin. Ich lächle immer noch angestrengt und verabschiede mich knapp, bevor ich das Tor verlasse. Ich versuche vehement den Blickkontakt zu einem der Wachposten zu vermeiden. Aber sie halten mich nicht auf, sie verabschieden sich nur standesgemäß mit einem monotonem: „Sichere Wege!“

Nach einer mir ewig lang erscheinenden Fahrt über die Thassa erreiche ich wieder Festland unter den Füßen. Mein nächstes Ziel ist Belnend. Ich habe nicht sehr viel über diese Stadt zuvor gehört, außer, dass die Rote Kaste dort sehr stark sein soll. Ich hatte nun einige Tage auf der Reise Zeit gehabt über mich nachzudenken. Warum ich diese Konsequenzen in Kauf nehme, um eine offene Rechnung mit einer Wilden zu begleichen. Oder warum es sich – trotz der Umstände, dass es sich um eine Aussätzige, eine Wilde, eine Waldschlampe handelt – so richtig angefühlt hat ihr zu helfen. Sie sollte ein Nichts für mich sein. Der Dreck unter meinen Stiefeln sollte mehr wert für mich haben, als sie. Aber ich spürte just in diesem Moment etwas, was in Gor nicht erlaubt zu sein schien und von mir nie in Frage gestellt wurde: Mitgefühl.


Ich habe Belnend fast erreicht. Im nahegelegenen Wald erreiche ich ein kleines Dorf, zu meinem Glück, denn die Sonne würde in wenigen Ehn untergehen und es wäre nicht gut für mich durch den dunklen Wald zu irren. Zu meinem Überraschen lebt hier eine mir bereits bekannte Person, die ich in der Oase der Zwei Scimitare kennen lernte...

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