Ich schlage meine Augen auf und
schrecke hoch. Wie spät ist es? Bin ich tatsächlich eingeschlafen? Die Sonne
knallt bereits in das kleine, staubige Fenster meines Gästezimmers. Ich erhebe
mich und packe meine Taschen. Eigentlich wollte ich mich klammheimlich in der
Früh auf den Weg machen. Die Aktion der gestrigen Nacht sitzt wie ein Kloß in
meinem Hals, ich trau mich weder zu laut zu atmen, noch durch irgendwas die Aufmerksamkeit
der Bewohner auf mich zu ziehen. Also schleiche ich mich durch die Tür aus der
Herberge und schaue mich um. Die Straßen sind ruhig, nur hin und wieder ist
jemand zu sehen. Versuchend so normal wie möglich zu wirken, mit einem ruhigen,
entspannten Gesichtsausdruck und gesenktem Blick, schlendere ich gemächlich
über die gepflasterten Straßen zum großen Tor. Plötzlich ruft jemand durch die
ganze Stadt: „He, Emilio! Warte!“ Ich
bleibe ruckartig stehen und hebe den Kopf. Mein Blick wird panisch. Haben sie den leeren Käfig schon entdeckt? Bestimmt.
Nur langsam drehe ich mich herum.
Ich versuche ruhig zu atmen, aber der Scheiß glänzt bereits in meiner Stirn.
Meine Hände balle ich zu Fäusten, um den zittrigen Eindruck zu verbergen. „Na, so etwas hätte ich niemals von einem
Pilger erwartet!“ Eine weibliche Gestalt steht vor mir, die Wirtin
persönlich, und sie sieht nicht gerade fröhlich aus. Ich schlucke schwer. „Du weißt… ich muss sagen… dass ich… ich
meine, was ich sagen will, ist…“, stammle ich vor mich her und versuche an der Mimik der Wirtin
auszumachen, wie schwer es um meine Schuld steht. Sie scheint meine Panik zu
bemerken – kein Wunder, es ist vermutlich durch die ganze Straße zu riechen,
dass etwas mit mir nicht stimmt. Diese neigt den Kopf, mustert mich nochmal
kurz und lächelt auf einmal. „Naja, so
schlimm ist es ja auch nicht. Passiert jedem Mal. Du bist nicht der Erste, der
vergisst seine Zeche zu zahlen.“ Erleichtert atme ich aus, ein unsicheres
Lächeln umspielt meine Lippen. Natürlich habe noch genug Erspartes dabei, um
sie zu bezahlen und ich bin sogar so froh, dass es nicht um eine weitaus
schlimmere Tat geht, dass ich ihr ein großzügiges Trinkgeld gebe. Jetzt wünscht
sie mir natürlich das Beste von den Priesterkönigen und dass sie sich freut,
wenn ich bald wiederkommen würde. Natürlich, so großzügig wie ich bin. Ich
lächle immer noch angestrengt und verabschiede mich knapp, bevor ich das Tor
verlasse. Ich versuche vehement den Blickkontakt zu einem der Wachposten zu
vermeiden. Aber sie halten mich nicht auf, sie verabschieden sich nur
standesgemäß mit einem monotonem: „Sichere Wege!“
Nach einer mir ewig lang
erscheinenden Fahrt über die Thassa erreiche ich wieder Festland unter den
Füßen. Mein nächstes Ziel ist Belnend. Ich habe nicht sehr viel über diese
Stadt zuvor gehört, außer, dass die Rote Kaste dort sehr stark sein soll. Ich
hatte nun einige Tage auf der Reise Zeit gehabt über mich nachzudenken. Warum
ich diese Konsequenzen in Kauf nehme, um eine offene Rechnung mit einer Wilden
zu begleichen. Oder warum es sich – trotz der Umstände, dass es sich um eine
Aussätzige, eine Wilde, eine Waldschlampe handelt – so richtig angefühlt hat
ihr zu helfen. Sie sollte ein Nichts für mich sein. Der Dreck unter meinen
Stiefeln sollte mehr wert für mich haben, als sie. Aber ich spürte just in
diesem Moment etwas, was in Gor nicht erlaubt zu sein schien und von mir nie in
Frage gestellt wurde: Mitgefühl.
Ich habe Belnend fast erreicht. Im
nahegelegenen Wald erreiche ich ein kleines Dorf, zu meinem Glück, denn die
Sonne würde in wenigen Ehn untergehen und es wäre nicht gut für mich durch den
dunklen Wald zu irren. Zu meinem Überraschen lebt hier eine mir bereits bekannte Person, die ich in der Oase der Zwei Scimitare kennen lernte...