Donnerstag, 22. September 2016

Eine ungewöhnliche Rettungsaktion



Ich war noch nicht ganz in En'Kara angekommen, schon habe ich einen brisanten Kampf miterlebt. Plötzlich war ich mittendrin im Geschehen. Ja, und jetzt irre ich durch den Wald. Mein Kopf hämmert immer noch von dem Schlag, meine Beine brennen wie Feuer. Und immerzu muss ich an sie denken. Wer ist sie? Die unbekannte Schönheit.

Endlich, als ich knapp davor bin die Hoffnung aufzugeben, finde ich meinen Weg zurück. Die hohen, dunklen Steinmauern erheben sich stolz und unbezwingbar vor mir. Eine Festungsstadt, so geschützt, wie keine andere, die ich zuvor gesehen habe. Meine Augen huschen über die Zinnen der Türme. 1…2…3…4…5…6…7…8...9…10…11. Es sind tatsächlich elf Türme. Glaubt ihr mir nicht? Kommt selbst und zählt nach. Ich überquere den Wall über den einzigen Weg – eine schmale Brücke – und erreiche ein Gittertor. Die Wachen lassen mich sofort ein, als sie meinen Pilgerstab erkennen. In En'Kara sind die Häuser riesig und vorwiegend aus Stein gebaut. Die Mauer, die zum Schutz der Stadt einmal um diese führt hat viele Schussscharten und Verteidigungsmöglichkeiten, wie eben die Türme. Alles hier scheint auf Kämpfe ausgelegt zu sein, weshalb es mich nicht verwundert gleich ein paar Kriegern über den Weg zu laufen. Diese sind sehr freundlich und offen. Ich fühle mich gleich wohl hier. Mein üblicher erster Weg führt ins Gasthaus, wo ich zu Trinken und zu Essen bekomme. Natürlich alles zu pilgerfreundlichen Preisen. Ich erfahre, dass die Jägerinnen hier wohl öfters zugegen sind. Was für ein Tag!

Am nächsten Morgen erwache ich wieder mit einem Schädeldröhnen. Ich trinke in letzter Zeit eindeutig zu viel. Bin ich jetzt zu einem Säufer geworden? Ist das mein „Wahres Ich“, von dem der Alte damals im Dorf gesprochen hat? Ein sklavenfickender Säufer? Ich schäme mich schon ein bisschen, aber nach dem ausgiebigen Frühstück fühle ich mich besser. Da fällt mir auf, dass ich nun schon eine ganze Zeit lang keine Sklavin mehr unter mir liegen hatte, obgleich es in den Städten immer von Sklavinnen wimmelt. Plötzlich höre ich einen der Krieger von gestern aufgeregt nach mir rufen. Er muss mir unbedingt etwas zeigen und führt mich über eine unscheinbare Tür hinter der Herberge durch einen eng verschlungenen Gang in eine riesige, unterirdische Halle. In der Mitte dieser Halle steht ein gigantischer Käfig. Er umrahmt einen runden Platz wie eine Art Tribüne. Hinter den eisernen Gitterstäben des Käfigs befinden sich drei Wilde. Mein Herz bleibt stehen, als ich sie sehe.

Das strohblonde Haar und die tiefblauen Augen fesselten mich gleich auf den ersten Blick

Wie Tiere in Gefangenschaft...

Die blonde Schönheit. Natürlich, wie es das Schicksal so will, ist sie eine der drei Gefangenen, die nun verzweifelt in diesem riesigen Käfig sitzen. Ich bekomme den Gesprächsverlauf der Krieger nicht ganz mit, aber die Wilden sind nackt und scheinbar entwaffnet, sie kratzen und beißen, wehren sich bis aufs Blut und schlagen immer wieder verzweifelt gegen die Eisenstäbe. Wie wilde Tiere in Gefangenschaft, denke ich bei mir und trotz der absurden Situation fesselt mich der Anblick der nackten Körper. Eine schöner als die andere. Ich träume noch etwas vor mir her, da entdecke ich ein riesiges, schlangenähnliches Ungetüm auf sechs Beinen, welches gerade in die Halle geführt wird, auf den Käfig zu. Ein Präriesleen! Spätestens jetzt sehe ich aus wie ein Volltrottel. Mir hängt nämlich die Kinnlade bis zum sandigen Boden der Halle, während ich wie in einer Schockstarre das Vieh beobachte, wie es aus den reptilienartigen Augen gierig vor Hunger die Leiber der Wilden anstiert. Ich hatte in meinem ganzen Leben als ausgebildeter Jäger erst drei Sleens bezwungen – in Begleitung mit fünf anderen, erfahrenen Jägern. Diese fleischfressenden Tiere sind stark, riesig und äußerst aggressiv. Drei nackte, mittellose Frauenkörper sind nur eine kleine Vorspeise für dieses Ungetüm. Da packen mich zwei kräftige Hände an den Schultern und reißen mich herum. „Hast Du mich nicht gehört, Pilger? Hau ab, wenn Dir Dein Leben lieb ist!“ Und das mache ich auch. Ich renne den anderen Männern nach, während sich der Sleen gemächlich und frei in der Halle bewegt. Was für ein abgekartetes Spiel, aus purer Freude der Qual dieses Tier laufen zu lassen, während die drei Wilden im Käfig um ihr Leben bangen müssen. Was wollten die Krieger noch gleich? Eine ordentliche Show sehen? Tja, jetzt rennt dieser Fleischfresser da unten herum und erstmal kommt niemand rein oder raus.

Ich hatte nicht viel Zeit mir die nackten Körper zu betrachten

Ich bleibe ruckartig stehen, während die anderen weiter gen Ausgang laufen. Niemand bemerkt mich, niemand dreht sich noch einmal herum. Ich wende mich herum und laufe zurück, während mir alle wichtigen Details über diese Viecher durch den Kopf gehen. Sleens reagieren auf jegliche Art von Bewegung und Geräuschen. Sie können auch sehr gut riechen, aber vermutlich ist diese Sleen fixiert auf die drei Grazien und wartet nur darauf, dass eine von ihnen in ihrer Verzweiflung zu nahe an den Käfig kommt. Am Eingang der Halle wieder angekommen, presse ich mich an die kalte Wand und luge vorsichtig um die Ecke. Der Sleen steht seitlich am Käfig und schnauft brummend, die drei nackten Jägerinnen sitzen in der Mitte und flüstern hektisch miteinander. Ich blicke mich in der Halle um, doch da ist nichts, was mir gegen den Sleen behilflich sein könnte. Also beschließe ich, mich erst einmal an den Käfig heranzuschleichen, möglichst gegenüberliegend von dem Sleen zu bleiben. Ich beobachte ihn, er muss noch relativ jung sein. Ich schätze seine schlangenähnliche Länge auf etwa vier Meter. Seine sechs Beine stampfen aufgeregt hin und her, das Tier sucht nach einer Möglichkeit näher an die Weibskörper zu kommen. Ich nutze diese Ablenkung, mein Blick huscht immer wieder kurz zum Käfig, aber sofort wieder auf den Sleen, den ich fixierend beobachte, um jegliche Bewegungen oder Regungen mitzubekommen. Das Tier jagt trotz der Größe sehr schnell und springt meist aus dem Hinterhalt vor, um seine Beute mit den vielen, messerscharfen Zähnen zu packen. Schweiß läuft mir über die Stirn. Verdammt, wo ist der Eingang? Die Jägerinnen haben mich bereits bemerkt. Zu meinem Bangen kriechen sie näher zu mir heran. Ich hebe sofort den Finger und lege ihn an meine Lippen, ihnen bedeutend bloß die Klappe zu halten. Hoffentlich merkt der Sleen das nicht. Aber ich habe Glück. Eine Jägerin deutet in eine Richtung in meiner Nähe. Sie formt mit ihren Lippen das Wort „Tor“. Sofort schleiche ich mich geduckt dort hin. Ich sehe kein Schloss, aber die Gitterstäbe unterscheiden sich hier minimal von den anderen. Was ist das für ein Mechanismus? Die Jägerin versucht mir etwas zu zeigen, erst nach einigen Ihn verstehe ich ihr Deuten. Ich wende mich herum und da sehe ich einen Hebel… Ich habe wenige Ihn Zeit. Meine Hand umgreift den Knüppel, ich halte kurz Inne, schnaufe durch. Ziehen und rennen, schießt es mir durch den Kopf und genau das mache ich auch. Ich ziehe an dem Hebel und nehme laufe dann, so schnell ich konnte. Der Sleen springt sofort auf. Sechs Beine gegen zwei Beine. Schneller, schneller. Meine Lunge brennt. Ich wage es nicht nach hinten zu sehen. Diese Jagd erinnert mich an eine Jagd, als ich ebenso vor einem Sleen flüchten musste, ehe sechs Pfeile meiner Kameraden sein Herz durchbohrten. Ich laufe im Kreis, um den Käfig, eine komplette Runde, dann müsste das Tor hoch genug gefahren sein und die Jägerinnen den Ausgang der Halle erreicht haben.

Der Mut des Jägers wird in mir geweckt

Ich erreiche selbst den Ausgang, unbeschadet, falle regelrecht in den schmalen Gang und lande vor den Füßen der Wilden. Der Sleen knurrt und faucht wütend hinter mir, er ist zu groß. Sie sind alle heil angekommen. Schnaufend erhebe ich mich. Stotternd und vermutlich noch verwirrt über meine Heldentat bedanken sich die Wilden. „Wie Du mir, so ich Dir“, antworte ich knapp bemessen und denke zurück an den Moment, als mich diese zierlichen und doch kraftvollen Hände wieder auf die Beine hieven, statt mich in Fesseln zu legen. Ich muss überheblich schmunzeln, wobei meine Brust anschwillt. „Ich lasse es so aussehen, als hätten Schwestern euch geholfen“, flüstere ich noch leise. Wenn jemand herausfindet oder auch nur ahnt, dass ich den Wilden geholfen habe, werde ich selbst dem Sleen zum Fraß vorgeworfen. „Wie ist Dein Name?“, fragt sie leise hauchend. Ihre Stimme ist so zärtlich, passend zu den vollen Lippen. „Emilio. Und Deiner?“ „Ich heiße Jola.“ „Jola“, wiederhole ich leise. Sie lächelt. „Ja, Jola.“ Und dann verschwindet sie. Ich starre ihr nach, ich muss dastehen wie ein Trottel, grinsend und gebannt von dieser blonden Schönheit. „Jola“, flüstere ich noch einmal zu mir, dann reiße ich mich aus dem bezaubernden Bann und ich überlasse sie nun ihrem weiteren Schicksal.

Erst als ich später in meinem Gästebett liege und schlaflos an die Decke starre, bin ich mir der Konsequenzen dieser ungewöhnlichen Rettungsaktion bewusst. Ich habe Aussätzigen geholfen. Ich habe mich gegen die Rote Kaste En'Karas gestellt. Hoffentlich werden sie diese Tat nie herausfinden. Jetzt sind wir quitt, die wilde Schönheit und ich.

Das Schuldgewissen plagt mich noch bis tief in die Nacht

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