Samstag, 3. Dezember 2016

Auf dem Runenberg

Ich packe meinen Pilgerstab und schaue entschlossen in die Runde. Man vermutete ja schon insgeheim, dass ich diese Aufgabe wohl nicht packen würde. Das kränkt mich insgeheim doch schon, dass man mir, als erfahrener Jäger aus dem Voltai-Gebirge, nicht zutraut alleine den nicht besonders hohen Runenberg zu erklimmen. Zugegeben, der beschwerliche Weg auf den zugeschneiten, vereisten Berg ist sicher nicht einfach, aber weitaus schwieriger erscheint mir die Opferung meines geliebten Pilgerstabes zu sein. Er ist mir ans Herz gewachsen, während wir viele Passang gemeinsam hinter uns gebracht haben. Jetzt führt kein Weg mehr zurück, meine Entscheidung steht und fällt mit der Opfergabe. In meinen neuen Stoffen gekleidet fühle ich mich vor der Kälte geschützter, so verlasse ich die Hall und stapfe hinaus in den Schnee. Vielleicht grinst der ein oder andere noch höhnisch und vielleicht schließen sie jetzt sogar Wetten ab.

Es schneit mal wieder. Ich blinzle und versuche mich zu erinnern, wo der Weg zum Runenberg nochmal hinführt. Die letzten Tage habe ich ihn immer mal wieder zwischen den eingeschneiten Strohdächer der Hütten gesehen. Jetzt, wo frischer Neuschnee liegt, sieht alles wieder ganz anders aus. Als ich den Weg endlich gefunden und betreten habe schaudere ich, aber nicht, weil mir kalt ist, sondern aufgrund der seltsamen Stimmung, die dieser Ort auslöst. Vielleicht liegt es auch an den seltsamen Statuen aus verschiedenen Knochen und Schädeln, die den Wegesrand zieren. Oder aber an der stark verwesten Leiche eines Kriegers, der vermutlich auf halbem Weg seinen Tod auf diesem Berg gefunden hat.

Dieser Berg ist mir nicht ganz geheuer

Es ist sehr dunkel, was mir den Weg auf den Berg erschwert. Genauer genommen wird es nicht mehr richtig hell. Ich spüre die Müdigkeit in meinen Beinen, die bei jedem Schritt tiefer in den Schnee sacken und sehe meinen keuchenden Atem, der in Form einer dunstigen Wolke vor meinem Gesicht aufsteigt. Mein Kopf schwirrt voller Gedanken und Fragen, warum ich das hier mache und ob ich nicht doch umkehren sollte, zurück in mein heimatliches Dorf reisen und dort unbeschwert und sorglos mein Leben als Jäger weiter verbringen. Ob sie mich dort schon ersetzt haben? Vermissen sie mich? Meine Familie gewiss. Ich sollte ihnen bald schreiben.

Die Aussicht ist trotz des gefährlichen Weges sehr schön

Wie ich schon erwähnte, er war nicht besonders hoch oder steil. Aber ich bin einige Male auf eingeschneiten Eisflächen gefährlich ausgerutscht. Ein paar blaue Flecke an Knien und Ellbogen werde ich sicher davontragen. Wenn ich mir überlege, wie leicht man sich hier das Genick brechen kann, wird mir ganz bang. Ich bin übervorsichtig und kontrolliere jeden Schritt auf Trittfestigkeit und trotzdem rutscht mir der Stiefel immer mal wieder unglücklich weg. Ich komme nur langsam und schwerlich voran. Endlich - gefühlt sind einige Ahn vergangen - erreiche ich die Spitze des Berges und betrete ein Plateau.

Der Runenberg in voller Pracht

Das Plateau bildet eine kreisrunde Fläche, umrahmt von hohen Steinen

Sofort spüre ich etwas mystisches an und in diesem Berg, ähnlich wie damals am Sardar-Gebirge. Die riesigen, bearbeiteten Felsgebilde, die  um eine Art steinernen Opfertisch aufgereiht in die Höhe ragen, wirken umso unheimlicher und absurder. Ein unangenehm scharfer Wind schlägt mir hier oben ins Gesicht und, obwohl der Ort seelenleer erscheint, brennen noch Fackeln und ich spüre eine fremdartige Präsenz. Schnaufend sammle ich Mut und trete in den Kreis, um meinen Pilgerstab auf dem einfachen Tisch abzulegen. Ich kann noch deutlich Blut auf der steinernen Fläche ausmachen und schlucke. Während ich noch die Urkunde aus meiner Tasche krame, um sie hinzuzulegen, schließe ich meine Augen und stelle mir die göttliche Präsenz nordischer Götter vor. Ich bitte sie im Stillen, dass sie mir beistehen mögen in meiner Entscheidung Nasty Palen als Gefährtin zu nehmen und unseren fortan gemeinsamen Weg segnen würden. Meine Brust füllt sich mit einer angenehmen Wärme und ich spüre eine für mich unbeschreibliche Anwesenheit, die mir die Nackenhaare zu Berge stellen lässt. Meine Hände zittern, als ich das Pergament der Urkunde auflege, mich noch einmal ehrfürchtig verbeuge und mit drei großen Schritten den Tisch verlasse, ohne ihm den Rücken zuzukehren. Ich kenne weder die Gebräuche, noch die Verhaltensformen gegenüber Nordischer Götter, aber mein gesunder, goreanischer Verstand ermahnt mich zum absoluten Respekt gegenüber dem Unbekannten.

Ehrfürchtig lege ich den Pilgerstab auf den Opfertisch

Zum Abschluss hauche ich noch ein leises „Danke!“ in die kalte Nordluft und wende mich zum Gehen ab. Der Abstieg ist noch anstrengender und ich muss mich eisern auf jeden Schritt konzentrieren, um nicht auszurutschen - was mit nach den jüngsten Erfahrungen ziemlich schwer fällt. Ich bin unvorsichtig und schon rutscht mein Bein voran, rücklings lande ich schmerzvoll auf dem Steiß und rutsche gut zehn Schritt unkontrolliert bergabwärts, bevor ich mich an einem dünnen Zweig des kahlen Gestrüpps festhalten kann. Mein Herz rast und trotz der eisigen Kälte (ich bin über und über mich Schnee bedeckt) schwitze ich vor Angst. Das war ziemlich knapp, weshalb ich den Rest des Weges teilweise kontrolliert auf knien rutschend und an dem seitlichen Gestrüpp festhaltend hinter mich bringe. Es wäre mir sicher unendlich peinlich gewesen, wenn mich jemand bei dieser Aktion gesehen hätte. Unten angekommen richte ich mich sofort auf, klopfe mir den Schnee von der Kleidung und bemerke dabei, dass er teilweise schon geschmolzen in den Stoff eingesogen war, was nicht gerade förderlich ist, wenn man sich im eiskalten Norden befindet. Dementsprechend bibbernd und unterkühlt trete ich in Hall, bei jedem Schritt verliere ich weiterhin Schneebrocken, bis ich am Feuer angekommen bin, wo ich mich zitternd aufwärme, während ich stotternd erzähle, dass ich es tatsächlich geschafft habe. Immer noch aufgeregt von meinem Erlebnis auf dem Runenberg, bemerke ich erst später, dass mir Sigurd, der Jarl des Dorfes, genau gegenüber sitzt.

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